Wer eine Immobilie für den wirtschaftlichen Gebrauch (zum Beispiel zur Vermietung oder Nutzung als Fabriksgebäude) anschafft, kann deren Anschaffungskosten nach § 7 Abs. 4 EStG abschreiben. Eine solche Absetzung für Abnutzung („AfA“) beträgt je nach Baujahr standardgemäß 2-3 Prozent der Anschaffungskosten pro Jahr und wirkt steuermindernd. Wer nach dieser Methode beispielsweise 2% für ein Gebäude aus dem Baujahr 1980 abschreibt, geht stillschweigend von einer Nutzungsdauer von 50 Jahren aus. Gerade bei alten Gebäuden ist fraglich, ob sie tatsächlich so lange genutzt werden können.
Um die Abschreibungsdauer der tatsächlichen Lebensdauer eines Gebäudes anzugleichen, ermöglicht das Gesetz die Angabe einer verkürzten Restnutzungsdauer. Diese kann anhand der Vorgaben des § 12 Abs. 5 ImmoWertV berechnet werden und hängt vom Baujahr des Gebäudes, dessen Nutzungsart sowie des Modernisierungsgrades ab. Der Steuerpflichtige ist beim Nachweis der verkürzten Restnutzungsdauer in der Bringschuld.
Was das Finanzamt als Beweis fordert
Das Bundesfinanzministerium („BMF“) normiert in seinem Schreiben vom 22.02.2023 die aktuelle Praxis der Finanzämter im Umgang mit Restnutzungsdauern von Immobilien. Es führt aus: „Auszugehen ist regelmäßig von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Gebäude substanztechnisch abnutzt. Technische und wirtschaftliche Nutzungsdauer fallen in der Regel zusammen.“ . Eine wirtschaftlich begründete Restnutzungsdauer, welche die technisch begründete unterschreitet, ist damit nur in Ausnahmefällen möglich.
Als Beweis fordert das BMF das Gutachten eines öffentlich bestellten, vereidigten Sachverständigen. Hierbei ist ein Verkehrswertgutachten mit Verweis auf die angenommene Restnutzungsdauer nach dem ImmoWertG nicht ausreichend. Vielmehr muss das Gutachten die technische Restnutzungsdauer selbst in den Fokus nehmen.
Positive Gerichtsurteile
Die aktuelle Rechtsprechung macht deutlich, dass überzogene Beweispflichten grundsätzlich nicht zulässig sind. Wegweisend war dabei das Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19 des Bundesfinanzhofs. Darin stellte das Gericht fest, dass sich der Steuerpflichtige berechtigt ist sich jeder Darlegungsmethode zu bedienen, “ die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint“. Insbesondere die Notwendigkeit eines Bausubstanzgutachtens wird explizit verneint.
Anfang April 2025 befasste sich das Finanzgericht Münster mit einem weiteren Fall (Urteil vom 02.04.2025 – 14 K 654/23 E), in dem entgegen der Rechtsprechung ein Gutachten zur Bausubstanz verlangt wurde. Ein vom steuerpflichtigen vorgelegtes Gutachten war zunächst vom Finanzamt abgewiesen worden; unter Anderem weil das Gutachten zunächst ohne tatsächliche Besichtigung des Gebäudes erstellt wurde. Doch auch in diesem Fall bekräftigte das FG Münster die freie Wahl des Nachweises und widersprach der Meinung des BMF. Eine von einem qualifizierten Sachverständigen anhand der Kriterien der ImmoWertV erstelltes Gutachten ist demnach ausreichend, eine verkürzte Restnutzungsdauer zu begründen. Dabei sei nicht der technische Verschleiß der Gebäudesubstanz alleinentscheidend, sondern die tatsächliche wirtschaftliche und rechtliche Nutzbarkeit des Gebäudes maßgeblich. Hier setzt die Rechtsprechung also andere Prioritäten als die aktuelle Verwaltungspraxis.
Die Praxis: Steuern sparen mit verkürzter Restnutzung
Mit der individuellen Festlegung einer Restnutzungsdauer lässt sich in der Praxis einiges an Steuern sparen. Im Vergleich zur Standardabschreibung kann für ein 45 Jahre altes Gebäude wie dem in der Einleitung genannten eine je nach Modernisierungsgrad bis zu 50% verkürzte Restnutzungsdauer festgesetzt werden, die im Bestfall eine Verdopplung der jährlichen Abschreibungen ermöglicht.
Wer die voraussichtliche Restnutzungsdauer des eigenen Gebäudes berechnen will, kann dies mit Onlinetools wie diesem relativ einfach tun. Für die genaue Bestimmung empfehlen wir jedoch ein professionelles Gutachten eines Sachverständigen. Diese sind heutzutage weitaus kostengünstiger als früher und geben die nötige Rechtssicherheit. Für die komplexe tatsächliche Ausgestaltung der AfA und alle Ihre weiteren steuerlichen Fragen steht Ihnen das Team von Thomsen & Partner kompetent zur Seite. Kontaktieren Sie uns gerne: Über drei Jahrzehnte Rechtserfahrung stehen Ihnen zur Verfügung!
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